Wie konntest du nur ?

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Wie konntest Du nur ?

Als ich noch ein Kätzchen war, unterhielt ich Dich

mit meinem Herumtollen und brachte Dich zum Lachen.

Du nanntest mich "dein Baby" und obwohl ich einigen

Nippes killte, wurde ich deine beste Freundin.

Wann immer ich etwas anstellte,

hobst du mahnend den Zeigefinger und sagtest:

"Wie konntest Du?", aber schon warst du wieder so

zärtlich und hast mich eng an dich gedrückt.

Als du im Studium so viel lernen musstest,

hattest du natürlich wenig Zeit für mich.

Aber ich verstand das immer und spielte mit meinem Bällchen.

Ich erinnere mich an all die Nächte,

in denen ich mich in deinem Bett ganz eng an dich

schmiegte und das Leben vollkommen schien.

Du tolltest dann auch wieder mit mir herum

und wir genossen die Sonne gemeinsam auf dem Balkon.

Von deinem Frühstück gab es für mich immer was

vom Schinken, "aber nicht soviel, das ist für Katzen ungesund!"

und ich schlief solange, bis du von der Arbeit nach Hause kamst.

Nach und nach verbrachtest du immer mehr Zeit

auf der Arbeit als mit mir, um Karriere zu machen.

Dann warst du so viel weg, um einen Menschenpartner

kennen zulernen. Ich wartete immer geduldig auf dich,

tröstete dich bei jedem Liebeskummer,

tapste mit meinen Pfoten deine Tränen vom Gesicht

und freute mich, als du endlich deinen Partner fandest.

Zwar keinen Katzenfreund, doch ich respektierte

deine Wahl. Ich war glücklich, weil du glücklich warst.

Dann kamen nacheinander deine Kinder zur Welt.

Ich teilte die Aufregung mit dir. Ich war von den süßen

Kindchen so fasziniert, dass ich die mit bemuttern wollte.

Aber du und dein Partner dachten nur daran,

dass ich den Kindern schaden, sie sogar verletzen könnte.

Deshalb wurde ich auch noch aus dem schönen großen

Raum ausgesperrt. In dein Bett durfte ich

schon lange nicht mehr.

Ich liebte die Kinder und wurde "Gefangener der Liebe".

Sie fingen an zu wachsen und ich wurde ihre Freundin.

Sie zerrten an meinen Ohren, meinem Fell, meinem Schwanz,

hielten sich auf wackligen Beinchen zum Laufen an mir fest.

Sie erforschten meine empfindliche Nase mit

unbeholfenen Fingerchen und ich hielt bei all dem

geduldig still. Ich liebte alles an den Kindern,

besonders ihre Berührungen, weil deine so selten

geworden waren. Ich war bereit, die Kinder notfalls

mit meinem Leben zu verteidigen. Ich war bereit,

in ihre Bettchen zu schlüpfen und mir ihre Sorgen

und Träume anzuhören. Und dann zusammen mit

ihnen erwartungsvoll auf das Motorengeräusch deines

Autos zu hören, wenn du in die Einfahrt einbogst.

Vor langer Zeit, als man dich fragte, ob du ein

Haustier hättest, zogst du aus deiner Tasche ein Foto

von mir und erzähltest so liebevoll. Die letzten Jahre

gabst du nur noch ein knappes "Ja" zur Antwort

und wechseltest das Thema.

Ich war früher deine "Samtpfote" heute "nur eine Katze".

Dann hattet ihr eine neue Karrieregelegenheit

in einer anderen Stadt. Du und deine Familie zogen

in eine Wohnung, in der Haustiere nicht erlaubt waren.

Ein Mann hat euch das extra noch gesagt und ihr habt

ohne zu zögern unterschrieben. Beide.

Du hattest für dich und deine Familie eine Entscheidung

zu finden die richtig war.

Obwohl einmal ich deine Familie war.

Die Autofahrt machte Spaß, weil auch die Kinder mitfuhren.

Als ich merkte, wo wir angekommen waren,

war der Spaß zuende. Es roch nach Hunden und nach

meinen Artgenossen, nach Angst,

Desinfektionsmitteln und Hoffnungslosigkeit

Du fülltest Papiere aus und sagtest, dass du wissen würdest,

dass man ein gutes Heim für mich finden würde.

Die beiden Damen hinter dem Schreibtisch zuckten

mit den Schultern und betrachteten dich merkwürdig.

Sie verstanden die Wirklichkeit, der eine Katze

über die fünfzehn entgegenstand. Du hattest die Finger

deiner jüngsten Tochter aus meinem Fell lösen müssen

während sie weinte und schrie:

"Nein, nein nehmt mir meine liebe Katze nicht weg !"


Ich wunderte mich noch, wie du ihr ausgerechnet

in diesem Moment etwas von Freundschaft,

Verantwortung und Loyalität vermitteln wolltest.

Zum Abschied tipptest du leicht auch meinen Kopf,

vermiedst tunlichst, mir dabei in die Augen zu sehen

und lehntest es höflich ab, meine offen

danebenstehende Transportbox wieder mitzunehmen.

Du hattest einen wichtigen Termin einzuhalten,

nun habe ich auch einen.

Kurz nachdem du weg warst, sagte eine

der netten Damen, du hättest mit Sicherheit schon Monate

vorher vom Umzug gewusst und somit wäre Zeit gewesen,

einen guten Platz für mich zu finden.

Sie schüttelten bedrückt den Kopf und fragten leise:

"Wie konntest Du?"
 
Die netten Damen widmeten sich uns,

wann immer es ihre Zeit zuließ. Wir bekamen gute

und reichliche Mahlzeiten, aber ich verlor meinen Appetit

schon vor vielen Tagen. Anfangs hoffte ich unentwegt,

dass du zurück kämst und mich hier rausholen würdest,

dass alles nur ein böser Traum gewesen wäre

und ich aufwachen würde...bei dir Zu Hause...

Aber du kamst nie. Und dann, wann immer jemand

an meinem Vermittlungszimmer vorbeiging,

presste ich bittend die Pfoten durch jeden möglichen

Spalt. Gab es denn niemanden, der mich mochte?

Niemanden, dem ich all meine Liebe,

Dankbarkeit und zärtliche Treue schenken durfte?

Die Wahrheit war, dass ich es nicht mit

den süßen kleinen knuddeligen Katzenkindern

aufnehmen konnte. Unbeachtet, von allen übersehen

und vergessen, zog ich mich in eine Ecke zurück

und stand nicht mehr auf.

Eines Tages, am Nachmittag, hörte ich Schritte.

Man hob mich auf, trug mich über einen langen Korridor,

der in einen Raum mündete. Es war ein seliger, ruhiger Raum.

Die Frau legte mich auf einen Tisch, streichelte behutsam

meinen Kopf und erklärte mir, dass ich mich nicht sorgen

sollte. Mein Herz schlug voller Erwartung auf das,

was nun kommen sollte.

Gleichzeitig hatte ich das Gefühl des Loslösens.

Mir, der Gefangenen der Liebe, gingen die Tage aus.

Ich war mehr um die nette Frau besorgt, als um mich selbst.

Ich erkannte, dass sie an einer Last tragen müsse,

die Tonnen wog. Sie band leicht etwas um meine

Vorderpfote, während eine Träne ihre Wange hinunterkullerte.

Ich schob meinen Kopf in ihre Hand, so wie ich es immer

bei dir getan habe, um dir meine Liebe zu zeigen.

Ich spürte einen leichten Einstich und eine kühle Flüssigkeit,

die in mich hineinfloss.

Ich streckte mich schläfrig aus und schaute dabei

in die freundlichen Augen der Frau und murmelte:

"Wie konntest du?". Möglicherweise verstand sie

mein leises Miauen, denn sie sagte: "Es tut mir leid..."

Sie umarmte mich hastig und erklärte, dass es ihr Job sei,

mir einen besseren Platz zu geben,

an dem ich mich nicht verkriechen müsse,

einen Platz der Liebe und des Lichts,

der so anders sei als auf Erden.

Mit meinem letzten Funken Energie

öffnete ich meine Augen weit und sah sie unverwandt an,

versuchte ihr zu sagen dass mein "Wie konntest Du?"

nicht an sie gerichtet war. Ich dachte an dich,

mein geliebter Mensch.

Ich werde immer an dich denken und auf dich warten.

Mein letzter Atemzug ist mein Wunsch,

dass dir in deinem Leben immer diese Loyalität widerfährt.

Wie konntest Du nur?"

"How Could You?" , Copyright Jim Willis 2001, tiergarten@onebox.com, Homepage (Übersetzt aus dem Amerikanischen von Elvira Rösch & Nicole Valentin-Willis)

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