Minkas Geschichte

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Minkas Geschichte

Minka wurde im Spätherbst geboren. Sie waren zu fünft, fünf kleine Fellknäuel, in verschiedenen Farben. Minka war dreifarbig, ein Glückskätzchen. Und Glück hatte sie wohl, als die Bäuerin meinte, eins solle man an der Katze lassen. Die Geschwister wurden fortgetragen. Sie starben leise wimmernd im Nass einer Regentonne.
Nun war Minka allein. Sie tröstete sich mit der süßen Milch, die durch die Zitze der Mutter floss. Bald öffnete sie die Augen. Sie lebten in einer Scheune. Das Heu war kuschelig und warm und roch verführerisch nach einem Sommer, den Susi noch nicht kennengelernt hatte. Neugierig erkundete sie die Welt mit all ihren Sinnen. Was gab es nicht alles zu entdecken! Viele Tiere lebten auf dem Hof.. Schnell lernte sie, mit wem sie spielen konnte. Hasso, dem Hofhund, ging man lieber aus dem Weg, denn er war brummig und mochte keine Katzen. Mit den Hühnern dagegen ließ es sich prima spielen, das Federvieh erschrak so herrlich, wenn man es belauerte und ansprang. Wenn sie im Futtertrog der Kühe herumspazierte, kam es schon mal vor, dass eine der sanftmütigen Riesen Susi mit ihrer rauen rosa Zunge über den Rücken strich. Das mochte Minka besonders gern.


Zu den Menschen hatte sie nur wenig Kontakt, denn die kümmerten sich nicht um die Katzen. Die Bäuerin stellte ab und zu Milch an die Haustür, das war aber auch schon alles. Einmal trank sie gerade an dem Napf von der Milch, als der Bauer zur Tür hinaus trat. Sie war ihm wohl nicht schnell genug zur Seite gegangen. Der Stiefeltritt traf sie völlig unvorbereitet und sie flog im hohen Bogen durch die Luft. Schwankend und noch ganz benommen kam sie wieder auf die Pfoten, mit einem stechenden Schmerz in der Brust. Sie verkroch sich in der Scheune. Die Zeit heilt alle Wunden ...


Es war einige Tage vor Weihnachten, als Minka beobachtete, wie ein Auto auf dem Hof des Bauern hielt. Heraus stiegen vier Menschen, zwei Erwachsene und zwei Kinder. Die Familie holte wie jedes Jahr ihre Weihnachtsgans bei dem Bauern ab. Während die Eltern in der Stube mit dem Bauern redeten, liefen die Kinder über den Hof und schauten sich die Tiere an. Nancy, das Nesthäkchen, schlüpfte durch das angelehnte Scheunentor und Thorsten folgte ihr. Während die Kinder sich mit Heu bewarfen, saß Minka ganz still auf einem Balken und schaute dem närrischen Treiben zu. So etwas hatte sie noch nicht gesehen, denn Kinder gab es auf dem Hof nicht.
Da fiel Nancys Blick auf die kleine zierliche dreifarbige Katze auf dem Balken. Die Augen des Mädchens begannen zu glänzen. Eine Katze! Eine Katze wollte sie schon immer gerne haben, so wie ihre Freundin eine hatte.


Und diese hier war ja so schön und niedlich! Sie knuffte ihren Bruder in die Seite, still zu sein und ging leise lockend auf Minka zu. Minka dachte an den Fußtritt, den sie erst kürzlich von einem Menschen empfangen hatte. Sie sträubte das Fell und fauchte warnend. Aber das Mädchen ließ nicht locker. Schritt für Schritt näherte sie sich Minka, bis diese nicht mehr weiter wusste und Reißaus nahm. Zum Glück kannte sie die Löcher in der Scheunenwand, sie schlüpfte durch eins hindurch und brachte sich in Sicherheit.
Nancy aber rannte aufgeregt zu ihren Eltern und erzählte von der tollen Katze, die sie entdeckt hatte. "Bitte, Mami, ich will diese kleine Katze haben, bitte, bitte" bettelte sie. Die Eltern schauten sich an. "Aber Nancy-Schatz, Du weiß doch, wir werden uns keine Haustiere anschaffen. Die machen doch nur Dreck". "Aber eine Katze doch nicht, Mami!" widersprach ihr Nancy und erzählte von ihrer Freundin, die ja auch eine Katze habe.

Doch die Eltern blieben hart und sagten nein, packten die geschlachtete Gans ein und machten sich auf die Heimfahrt. Im Auto war Nancy ganz still und traurig. Selbst die Neckereien ihres Bruders ließ sie ohne Widerstand über sich ergehen. Sie wollte diese Katze! Schließlich fing sie an zu weinen. Die Eltern trösteten sie und erklärten ihr nochmals, dass eine Katze nicht ins Haus käme. Nancy quengelte jedoch weiter und ließ sich nicht trösten.
Einen Tag vor Weihnachten hielt der Wagen der Familie wieder auf dem Hof des Bauern. Diesmal war nur der Vater gekommen und verhandelte mit dem Bauern in der Stube. Das Ergebnis dieser Verhandlung war, dass die Bäuerin mit einer Wurstscheibe in der Hand in die Scheune kam und Minka damit anlockte. Vor der Bäuerin hatte Minka keine Angst, die hatte ihr noch nie etwas getan und ihr sogar manchmal mit der schwieligen Hand über den Rücken gestreichelt. Das war noch schöner gewesen als die Zungen der Kühe.
Aber heute war alles anders. Kaum hatte sich Minka über die unerwartete Zuwendung gebeugt, wurde sie im Genick gepackt und in einen dunklen Sack gesteckt, bevor sie auch nur Mau sagen konnte. Dort zappelte und schrie sie aus Leibeskräften, aber darauf nahm niemand Rücksicht. Der Sack wurde hin- und hergeschleudert und dann war plötzlich Stille, als der Sack auf dem Beifahrersitz abgelegt wurde. Als der Mann den Motor startete, erschien es Minka, als würde irgendein schreckliches Tier tief und brummend schreien. Minka in ihrer Angst, allein und hilflos in dem dunklen Sack, nicht wissend, was mit ihr geschah, schrie mit, und zwar solange es ihre Stimmbänder hergaben. Endlich war die Autofahrt zu Ende. Minka schrie nicht mehr, bewegte sich nicht mehr.
Der Vater nahm den Sack vom Sitz und ging in den Keller. Dort öffnete er den Sack und legte ihn hin. Minka rührte sich nicht. Da verließ er den Raum, kam aber bald darauf wieder, in der Hand einen Napf mit Milch. Minka war inzwischen aus dem Sack gekrochen und hatte sich in eine dunkle Ecke des versteckleeren Kellers geflüchtet. Dort verbrachte sie den Rest der Nacht und den nächsten Tag, zutiefst verstört und orientierungslos, nach einer Fluchtmöglichkeit suchend und doch keine findend. Die Milch rührte sie nicht an, obwohl sie Hunger verspürte. Zu tief saß noch der Schock in ihrer empfindsamen Katzenseele, die letzte Gabe aus der Hand eines Menschen hatte sie hierher gebracht.
Am Abend kam wieder der Vater. Er hatte eine Pappschachtel in der Hand, in die kleine Löcher gestanzt waren. Auch die Mutter kam mit herunter. Gemeinsam drängten sie Minka in eine Ecke, schnappten sie und steckten sie in den Karton. Dies ging nicht ohne Gewalt ab, da sich Minka tapfer wehrte. Anfangs versuchten die Menschen noch, beruhigend auf sie einzureden, aber nach dem ersten Kratzer an der Hand war die Mutter sauer und der Vater nannte Minka "Mistvieh". Irgendwie waren sie sich plötzlich nicht mehr sicher, dass es eine gute Idee gewesen war, die Katze vom Bauernhof wegzuholen.
Aber dafür war es jetzt zu spät. Sie banden eine rote Schleife um den Karton und trugen ihn ins Wohnzimmer, wo er unter dem reich geschmückten und im hellen Lichterglanz strahlenden Weihnachtsbaum seinen Platz fand. Minka miaute zwar in ihrem Karton, aber da sie noch heiser vom Schreien bei der Autofahrt war, ging ihr krächzendes hilfloses Miau in der Weihnachtsmusik unter, die aus dem Radio kam.
Dann holten die Eltern die Kinder herein. Mit glänzenden Augen standen sie vor dem Weihnachtsbaum und sangen gemeinsam ein Weihnachtslied. Nancy schloss die Augen und dachte noch einmal ganz intensiv an ihren größten Weihnachtswunsch, mit dem sie seit Tagen ihre Eltern genervt hatte.
Endlich durften sie die Geschenke öffnen. Nancy entdeckte den großen Karton mit den Löchern sofort und öffnete ihn mit fliegenden Fingern. Kaum hatte sie den Deckel gelüftet, raste ein dreifarbiger Blitz durch den Raum und verkroch sich unter dem Sofa. "Oh, die Katze, es ist die Katze!" jubelte Nancy begeistert auf, auch wenn sie nicht viel von ihrem Tier gesehen hatte. Freudestrahlend fiel sie ihren Eltern um den Hals.
Den Rest des Abends verbrachte sie mit Versuchen, Minka aus ihrem Versteck zu locken, aber Minka war in dem ganzen Trubel nicht freiwillig hervorzubringen. Schließlich hob der Vater das Sofa an und die Mutter griff, mit Handschuhen gerüstet, nach der Katze, erwischte Minka auch glücklich im Genick und brachte sie ins Kinderzimmer. Anschließend durfte unter dem Sofa geschrubbt werden, weil Minka in ihrer Not ihr Geschäft dort verrichtet hatte. Missbilligend nahm die Mutter einen Lappen. "Da hast Du's," sagte sie zum Vater, "kaum da, macht das Tier schon Dreck."
Erst jetzt fiel ihnen auf, dass sie sich gar keine Gedanken gemacht hatten, dass die Katze ein Klo braucht. Auch Futter hatten sie keines im Haus und es waren doch Feiertage. Na ja, satt sollte die Katze schon werden, es gab ja genug zu essen, was sie auch mit fressen konnte.
Nancy stellte erst mal einen Pappkarton mit Sand im Kinderzimmer auf und brachte Minka ein Schälchen Milch. Minka saß unter dem Bett und starrte Nancy mit großen Augen an, die sie mit weicher Stimme lockte. Es dauerte zwei Tage, bis Minka endgültig ihr Versteck verließ und soweit Zutrauen hatte, nicht sofort wieder darunter zu verschwinden, wenn Nancy ins Zimmer kam. Anfassen und streicheln ließ sie sich aber noch lange nicht, dafür waren die traumatischen Erlebnisse, die sie hier her gebracht hatten, einfach noch zu frisch.
Bald stellte Nancy fest, dass ihre Katze, die sie sich so dolle gewünscht hatte, nicht so ganz ihrer Vorstellung von einer Schmusekatze entsprach. Woher auch, Minka hatte in ihrem kurzen Leben bisher noch nicht viel Gutes von Menschen erfahren und auch wenn ein Streicheln über den Rücken für sie das höchste Glück war, misstraute sie dem Mädchen und dem Rest der Familie noch zu sehr, um es zuzulassen.
Nancy wurde bald ungeduldig mit Minka und versuchte, sie mit Zwang zum Schmusen zu bekommen. Minkas scharfe Krallen zogen sich quer über die zwingende Hand des Mädchens, sie fauchte. Nancy schrie auf, ließ die Katze fallen und rannte weinend zu ihren Eltern. "Die Katze ist ja so gemein! Sie hat mich gekratzt! Sie ist böse! Ich will sie nicht mehr, Papa!" schluchzte Nancy. Ihre Mutter nahm sie tröstend in den Arm und schaute den Vater tadelnd an. "Ich hab Dir gleich gesagt, das ist eine dumme Idee. Bringe die Katze zurück!" Brummelnd gab der Vater seine Zustimmung.
Am nächsten Tag lud er Minka wieder mittels Pappkarton ins Auto und machte sich auf den Weg zum Bauern. Unterwegs, er hatte etwa die Hälfte der Strecke hinter sich, kam er ins Grübeln. Was würde der Bauer wohl sagen, wenn er mit der Katze zurück käme? Würde er ihn auslachen, weil er nicht mal eine Katze bändigen konnte? Wahrscheinlich! Wozu eigentlich die Mühe, bis zum Bauern zu fahren. Katzen sind doch selbständig, können Mäuse fangen, sich selber versorgen!
Kurz entschlossen bog er einen Feldweg ein, hielt das Auto an und stieg aus, den Karton in der Hand. Einen Moment war er noch unschlüssig, dann stellte er die Schachtel auf den Boden und öffnete den Deckel. Minka starrte ihn misstrauisch aus der Box heraus an. Er schaute zurück und für einen kurzen Moment empfand er so was wie Gewissensbisse. Doch dann verdrängte er diese Gefühle rasch, drehte sich um und stieg wieder ins Auto.
Minka schaute dem davonfahrenden Auto nach. Sie kam sich seltsam vor. Einerseits fühlte sie sich verloren und einsam inmitten der weißen verschneiten Leere um sie herum, andererseits trug ihr der Wind den Geruch von Freiheit zu, die sie in der Wohnung der Familie vermisst hatte. Langsam stieg sie aus dem Karton und lief in Richtung Wald, eine einsame Spur von Katzenpfotenabdrücken hinter sich im Schnee zurücklassend. Fünf Tage lang irrte sie durch den ihr unbekannten Wald. Sie litt Hunger, denn sie konnte zwar schon Mäuse fangen, aber zu dieser Jahreszeit waren die Fellpiepser schon lange in ihren Löchern verschwunden und warteten dort auf den Frühling. Gegen den Durst leckte sie am Schnee.


Minkawurde immer matter. Instinktiv erkannte sie, dass sie nicht überleben würde, wenn sie nicht bald etwas zu fressen fand. Aber die Erde war schneebedeckt und der Wald schweigsam. Das raue Klima forderte seinen Tribut und Minka hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Sie bekam eine schwere Erkältung. Mühsam schleppte sie sich weiter, zwischendurch von Hustenanfällen und Fieber geschüttelt. An einer großen Erle, die ihre nackten entlaubten Äste in den grauen Himmel reckte, legte Minka sich nieder. Sie schloss die Augen und dachte an das wundervoll duftende Heu in der Scheune, wo sie an der Zitze ihrer Mutter saugte und von einem nie erlebten Sommer träumte. Ein letztes keuchendes Husten entrang sich ihrer gequälten Brust, dann sank ihr Kopf in den Schnee und sie fand ihren ewigen Frieden.

(Autor unbekannt)




       
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